Mein Leben als Geistlicher


Als Sohn eines Pfarrers hatte ich eine gewisse Prägung und eine Vorstellung vom Beruf des Pfarrers. Die Frömmigkeit, die ich erlebt hatte, waren: tägliche Losung, Tischgebet, Abendgebet beim Gebetsläuten, der Besuch des Sonntagsgottesdienstes, der Geschmack für die Qualität von Bachkantaten und für geistliche Musik und moralische Appelle.
Vor dem Studium der Theologie hatte ich auf dem Schwanberg Kontakt zu communitärem Leben in der Gestalt der Communität Casteller Ring (CCR). Eindrucksvoll war die Person des geistlichen Lei­ters, Pfarrer Dr. Johannes Halkenhäuser. Hier entstand die Ahnung, dass geistliches Leben mehr ist als das, was ich bisher kennengelernt hatte.

Während meinem Studium durfte ich Friedrich Walz als Pfarrer der Studentengemeinde erleben. Seine Musikalität, seine spirituellen Impulse, seine Art Gottesdienst zu feiern und seine Menschen-freundlichkeit waren vorbildlich.

Das Handwerk des Geistlichen habe ich mir im Lauf meiner beruflichen Praxis mehr oder weniger selbst durch Studien, Literatur und Ausprobieren erarbeitet.

Wesentlicher Aspekt meiner Spiritualität wurde die Seelsorge. Prägende Gestalt auf meinem Weg war mein erster Seelsorgelehrer und KSA-Supervisor: Dr. Wilhelm Polster. Später war es Gottfried Peschke, der mich lange Zeit begleitet und supervidiert hat.

17 Jahre war ich Pfarrer in Engelthal, und Seelsorger in der Frankenalb-Klinik (Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Suchtrehabilitation). In Engelthal habe ich die Seelsorgearbeit in der Klinik aufgebaut, mich mit communitärem Leben beschäftigt und Kontakte zur Christusbruderschaft Selbitz gepflegt. Vor allem habe ich die Spiritualität der Mystik entdeckt. Engelthal war im Mittelalter ein sehr bekanntes Dominikanerinnenkloster und ein Ort der Mystik. Anregungen und Antworten habe ich bei Gerhard Wehr (1931-2015) gesucht und gefunden.

Der Jesuitenpater Hugo M. Enomiya-Lassalle SJ (1898-1990) kam 1929 als Missionar nach Japan, besuchte Zen-Klöster und nahm an Meditationen teil. Mit Pater Lassalle kam die Zen-Meditation zum westlichen Christentum. Eines der Bücher von Lassalle trägt den Titel: »Zen-Meditation für Christen« (1968/1976/2005).

Zazen, Sitzen in Stille, wird seither auch von Christen und spirituell Suchenden praktiziert. Zen ist für den Buddhismus, was die Reformation für das Christentum ist. Es führt zum Wesentlichen. Der Geist der Meditations­bewegung war stark in meinen ersten Amtsjahren. Er hat auch mich inspiriert.

Als Pfarrer in Engelthal hatte ich fast jeden Sonn- und Feiertag Gottesdienst gehalten. Ich habe das Kirchenjahr als Exerzitium begriffen. Mir wurde klar: In jedem Gottesdienst kommt Christus zu den Seinen (Introitus). Ich trete vor Christus, schaue auf das, was mich von ihm trennt (Confiteor), ich rufe ihn an (Anrufung), ich bete ihn an (Kollekte), ich höre sein Wort (Lesung: Evangelium), ich bitte ihn für Menschen (Fürbitte), ich feiere mit ihm das Heilige Mahl (Eucharistie), und ich gehe mit seinem Segen in den Alltag des Lebens (Sendung und Segen). Als Ausdruck dieser Erfahrung habe ich das Buch »Christus­meditationen. Von Advent bis Ewigkeitssonntag« (Stuttgart 1999) geschrieben.

In meinen späteren Jahren habe ich mich mit Dietrich Bonhoeffers (1906-1945) beschäftigt und er­kannt: Seine Theologie ist konkret und sein Leben ist konsequent. Der Weg der Nachfolge Jesu ist verbindlich. Der Ruf der Nachfolge ruft mich heraus aus meiner Welt, aus meiner Lebenswirklich­keit und gibt mir Verantwortung in der Welt und für die Welt.

Der Anspruch Jesu ist radikal. Der Ruf der Nachfolge bedeutet, dass der alte Adam in der Begegnung mit Jesus Christus stirbt. Es gibt keine billige Gnade (Bonhoeffer). Es geht im Christsein, wie in den Kampf­künsten, um Leben und Tod.

Bonhoeffer aktualisiert die Kreuzestheologie Martin Luthers. Seine »Theologie der mündigen Ohn­macht« stellt die selbstgeschaffene Wirklichkeit in Frage, nimmt uns den festen Grund auf dem wir glauben zu stehen, und fordert, dass unser Ich mit Christus am Kreuz den Großen Tod stirbt. »Das Kreuz allein ist unsere Theologie« der Grundsatz Luthers, den Bonhoeffer aufgreift und weiterdenkt, entspricht der Spiritualität und der Philosophie des Zen.

Mir ist klar geworden: Hier zeigt sich: Seelsorge und Spiritualität sind eins. Es geht, hinter allen äußeren Formen und Erscheinungen, immer um die Person des Menschen und die Frage Wer bin ich? Der Weg führt mich zu mir selbst. Es ist ein therapeutischer Prozess. Die existenziellen Fragen und Auseinandersetzungen gehören wesentlich zum Christsein. Sie finden Gestalt in den Kampf­künsten. Sie gehören zum Karate-dô. Sie bestimmen unser Leben. Wenn ich mich loslasse und mich selbst vergesse, bleibt nur das bedingungslose Vertrauen.

Hinter allen Erscheinungen der phänomenalen Welt steht die Frage nach der einen, der letzten Wirk-lichkeit. Sie ist, das ist meine Überzeugung, uns Menschen nicht verfügbar. Sie ist allein eine Glau­bensentscheidung, und als solche Voraussetzung für unsere Lebenspraxis, für unsere Haltung und für unser Handeln.
Für mich ist die letzte Wirklichkeit die Christuswirklichkeit (Bonhoeffer). Sie ist größer als meine Grenzen. In ihr ist die Fülle des Lebens (Johannes 1,16). Sie begründet mein Leben, mein Denken und mein Handeln.

Paulus kann von sich als Christ sagen: Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir (Galater 2,20). Im Geist des Zen heiß das: Das Leben des Christus und mein Leben sind nicht das Gleiche und nicht verschieden. Der Ursprung und das wirkliche Wesen des Christentums ist das gemeinsame Leben mit Christus. Christus lebt in mir. Er ist mit mir, und er wirkt durch mich.

Wenn ich mich der Zen-Praxis hingebe und zu meinem Selbst erwache, erkenne ich, dass Christus mein Leben ist.

Nürnberg, 22. Februar 2021
Siegfried J. Schwemmer

Die sieben letzten Worte

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